Der Beginn jeder politischen Entscheidung ist die innere Haltung

blowing in the wind, 2019, Öl auf Leinwand, 80x70cm

Die Welt ist eine Bühne, 2019, Öl auf Leinwand, 50x60cm

I’m open to you, 2019, Öl auf Leinwand, 70x80cm

In der Mitte, 2019, Öl auf Leinwand, 70x80cm

Inner Attitude, 2019, Öl auf Leinwand, 60x80cm

The value of possession, 2019, Öl auf Leinwand, 200x130cm

Rollenbilder, 2019, Öl auf Leinwand, 70x80cm

untitled I, 2019, Öl auf Leinwand, 60x80cm

untitled II, 2019, Öl auf Leinwand, 60x80cm

Bildsprache – Sprachbilder

Gedanken zu Andrea Wögerbauers Serie “Der Beginn jeder politischen Entscheidung ist die innere Haltung”

Als innere Haltung bezeichnet die Psychologie die Einstellung, mit der ein Individuum auf Geschehnisse, bestimmte Gruppen von Menschen, Objekte und Situationen reagiert und wie es diese bewertet. Diese innere Haltung drückt sich aus in Überzeugungen, Emotionen und Verhalten. Innere Haltung hängt zusammen mit Vorurteilen, Sympathien und Antipathien, aber auch mit der Bereitschaft, ein bestimmtes Problem anzugehen.” In ihrer neuen Serie beschäftigt sich Andrea Wögerbauer mit der Definition der inneren Haltung und deren politischen Auswirkungen. Eine Jacke mit am Rücken verschränkten Ärmeln ist das zentrale figurative Element des Werks “Innere Haltung”, – umringt von der Definition des Terminus in textbasierender Ausdrucksform. Bildsprache und Sprachbild sind hier zu einer in sich ruhenden Aussage verwoben – Haltung als reflektierender Selbstbezug, Urteilskraft. Nichts ist ohne Bezug und somit auch nicht ohne Haltung. Wenn wir das Gefühl haben, dass politisch agierende Menschen ohne eben diese Haltung Entscheidungen treffen – ist genau dies eine Reflektion ihrer inneren Haltung und keine Bestätigung eines Mangels dessen. Diese Haltung kann sich als Beliebigkeit, und Größenwahn zeigen – Verhaltensweisen, die auf Erfahrungen, Meinungen, Wissen, Gefühlen und Impulsen beruhen. Wie wir hingegen so ein Verhalten bewerten, kommt auf unsere eigene innere Haltung an. Die Künstlerin nutzt den vieldeutigen Bedeutungsspielraum zwischen dem fiktiven Bereich Malerei und der Gebrauchs-und Konsumwelt und der politischen Bühne, auf welcher sich unser tägliches Leben abspielt. Die Serie bietet eine sehr spezielle Auseinandersetzung mit dem Thema „Schrift und Bild“. Der Textualisierung des Bildes kommt dabei eine kommentierende Funktion zu. Wie reflektiert sich Malerei selbst, wie ihre Quellen und wie den kunstgeschichtlichen Hintergrund? In dem Werk “La trahisone des images” aus 1929 geht es Rene Magritte um die Beziehung zwischen Objekt, dessen Bezeichnung und dessen Darstellung. Auch in Andrea Wögerbauers neuer Serie wird durch das Aufzeigen eines Paradoxons der Betrachter*innen zu Reflexion aufgefordert. Die kunstgeschichtliche Referenz zu Magrittes Werk ist durchaus gewollt. Welche Bedeutungsebene hat die Malerei, welche der Text? Sie vereinen sich zu einem Gesamtkunstwerk, dessen Aufgabe es ist das Gedankenspiel in verschiedene Richtungen zu treiben. Sind die hinter dem Rücken verschränkten Jackenärmel ein Widerspruch oder ein malerischer Ausdruck von innerer Haltung? Begleitet das malerische Element den Text oder fungiert der Text als Kommentar und Erklärung? Die Antworten auf diese Fragen hängen vom Deutungshintergrund der Betrachter*innen ab – oder wenn man so will – von deren innerer Haltung. Auch Künstler wie Jean-Michel Basquiat und Sigmar Polke stellten sich die Frage nach der Funktion von Sprache in ihren Werken. Text wurde zum eigenständigen Bildmedium – er kann kommentieren oder zum Konzept, zum Sinnbild werden. Als additives Element wird Text zum Kommentar zum Widerspruch, zum leitgebenden Gedanken, zum ästhetischen Werkzeug. Auf Bildflächen tanzen Geschichten, Definitionen, Gedichte. Dem Bild einverleibte Poesie, begleitend als Schrift im Bild – festgehalten im Medium Malerei. Dies ist eine Form der Gestaltung, die auch in den Bewegungen des Dadaismus, des Futurismus und des analytischen Kubismus verwendet wurde. Das Bild erhält mit dem hinzugefügten Text eine zweite Bedeutungsdimension. Jasper Johns stellte die Frage nach der Essenz von Kunst neu, indem er mithilfe des Einsatzes von Schrift – die Idee und Wirklichkeit eines Kunstwerks in den Vordergrund rückte. Aus dieser Kunstessenz entstehen imaginäre Räume, in die sich auch Andrea Wögerbauer einfindet um Verbindungen herzustellen und persönlichen Empfindungen und Eindrücken nachzuspüren. In der Verknüpfung von Bild und Sprache kann sie damit komplexen Gedanken eine transportierbare Form verleihen. Handschrift und Pinselduktus manifestieren die innere Haltung der Künstlerin.Abgesehen von ein paar abstrakten Arbeiten, die Malerei nicht mit Text kombinieren, wie in zum Beispiel “In der Mitte”, ist das visuelle Hauptthema die Jacke oder auch im Plural die Jacken. Diese stehen sinnbildlich für Besitz und Eigentum. Das Absurde, das Surreale bezogen auf die ungleiche Besitzverteilung und Chancenungleichheit auf unserer Welt versinnbildlichen die im Himmel freischwebenden Jacken in “…The value of possession”. Auf der einen Seite steht der Überfluss auf der anderen Seite die unfassbare Armut, in welcher ganze Länder ein Dasein fristen.

Die äußere Hülle des Menschen – als malerisch figuratives Element die Jacke/en – fungiert als eine Verkleidung, als Ausdruck eines Rollenmodells, einer Maske. Die innere Haltung wird versucht zu verstecken wenn sie nicht mit dem Äußeren, dem gesellschaftlich angesehenen Modell korreliert. Die Jacke als weltlicher Besitz, der Himmel im Hintergrund als die Vergänglichkeit – das Paradoxon menschlicher Existenz im 21. Jahrhundert. “..I’m open to you” mit vor der Brust verschränkten Jackenärmeln zeigt mit absoluter Vehemenz den Unterschied zwischen dem Gesagten und dem Gelebten. Dem Inneren und dem Äußeren. Sprache vermag Bedeutung zu kreieren, allerdings ist dies nicht ultimativ an die Produktion von wahrheitsgetreuen Inhalten gebunden. Verbalisierte Sprache ist eine Kommunikationsform, die oft auch zum Verschleiern der wahren Intention verwendet wird. Die Körpersprache hingegen wie auch in dieser Arbeit zeichnet ein anderes Bild. Doch worum geht es nun wenn man den Vorhang des Versteckens lüftet und der Wahrheit auf den Grund geht.

Die Frage nach politischer Verantwortung beschäftigt die Künstlerin. Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung in Zeiten von Klimakrise, Unruhen, instabilen Wirtschaftslagen. Das Kunstwerk “I’m feeling alive” zeigt den oberen Teil eines menschlichen Skeletts, eine Jacke tragend. Die Bedeutungen von Bild und Text divergieren und können auch als Zustandsbeschreibung unseres Planeten interpretiert werden. Die Tatsache, dass unser Planet nachhaltig zerstört wird und darüber wird der “Mantel (hier: Jacke) des Schweigens” gelegt. Der Endkonsument als Hauptverantwortlicher für das Wohlergehen unserer Planeten und den Fortbestand unserer Art. Aktionisten wollen aber gerade die Entscheidungsträger, die Politiker zur Rechenschaft ziehen. Amazon versus Einkaufen beim Nahversorger. Man ist gegen die Steuerbegünstigungen von Großkonzernen allerdings konsumiert man Ware, die jene bieten und bequem zur Haustür liefern. Der Nachhaltigkeitsgedanke währt nur solange, wie es die eigene Bequemlichkeit zulässt. Wie auch schon eingangs erwähnt ist die innere Haltung der Beginn jeder politischen Entscheidung. Diese jedoch zum Wohle aller Menschen und des Planeten zu ändern und das eigene Wohlbefinden mit all seinen Facetten vielleicht hintenanzustellen, ist für die Spezies Mensch, die “a creature of habit” ist, fast unmöglich. Das Kaufverhalten spiegelt oft die eigenen moralischen Wertvorstellungen nicht wieder. Wunsch und Realität klaffen auseinander. Diese eklatante Diskrepanz zwischen gewünschter identitätsbildender Haltung und der tatsächlichen Gegebenheit widmet sich Andrea Wögerbauer durch eine textinspirierte und textbasierte künstlerische Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen Thema. Sie gibt keine Antworten aber fordert die Betrachter*innen auf einen eigenen Lösungsansatz zu finden – oder besser: der eigenen inneren Haltung treu zu sein und zu bleiben.

Andrea Wögerbauers Serie “Der Beginn jeder politischen Entscheidung ist die innere Haltung” vereint gesellschaftspolitisches Interesse mit künstlerischer Distanz und konzeptionelle Raffinesse mit malerischem Können. Am Anfang steht die innere Haltung. Am Ende – der Serie- lösen sich die Jacken zu Vorhängen und zu abstrakten Flächen auf. Was hinter dem Vorhang steht ist das echte Leben. Die ultimative Wahrheit. Das Versteckspiel auf der Bühne der fadenscheinigen Realität nimmt dadurch ein Ende. Die abstrakten Werke bilden den perfekten Abschluss als zeitloser Kommentar eines systemimmanenten Fehlers. „Die Welt ist eine Bühne. Das Leben ist ein Auftritt. Welche Rolle spielst Du? “, fragt die Künstlerin die Betrachter*innen.

Mag. Katrin-Sophie Batz